Erlebtes und Geschautes

Texte, Gedichte und Impulse über Begegnungen mit dem Leben
Systemisches in Paargschichten mit dem Hang zum Perpektivwechsel

30.12.2023

Immer wieder Weihnachten

Josef3.jpgOktober. Der Sommer war schon lange auf dem Rückzug, auch wenn seine Temperaturen noch zu spüren waren. Die Natur verharrte in ihrem Herbst-Programm und die Blätter, die der trockene Sommer übrig ließ, begannen sich trotzig zu verfärben.
Die Supermärkte und Discounter taten es den Bäumen gleich und blieben ebenfalls im Programm. Unbeeindruckt von den noch sommerlichen Temperaturen lagen hier schon seit über vier Wochen die Marzipankartoffeln, Lebkuchenherzen und für besonders Fortgeschritten, der Christstollen bereit. Noch wurde das Weihnachtsgebäck ignoriert, oder mit einem Anflug von Verstohlenheit in den Einkaufswagen gelegt. Doch das würde sich bald ändern.
Für sie war Weihnachten noch weit weg. Der Ausstieg aus ihrem aktiven Berufsleben stand vor der Tür. Ein Thema, das sie nun schon seit Monaten hinter sich herzog und inzwischen wohl jeden Winkel ihrer Emotionen beleuchtet hatte. Dabei kam sie nicht umhin, ihre neuen und alten Erkenntnisse ihrer Umwelt immer wieder mitzuteilen. Ihre Überlegungen waren umfassend und von sehr gründlicher Natur. Sie beschränkten sich nicht nur auf die Organisation ihrer Abschiedsfeier, dem möglichen Lebensentwurf für die Zeit  „danach“, dem Beleben ihrer bisher unentdeckten Seiten, den Putzplänen für eine gerechte Aufteilung der Haushaltstätigkeiten, sondern bezogen auch die Frage ein, ob eine seniorengerechte Duschtasse im Bad eine zeitnahe Investition darstellen könne.
Neben der Beschäftigung mit der Zukunft, rollte der Berufsalltag noch mit voller Kraft durch ihr Leben und bestimmte den Takt. Ja, Weihnachten passiert, dann irgendwann später…Jetzt gilt es, die Termine im Kalender abzuarbeiten und Projekte noch vor Jahresende abzuschließen.
Doch dann kam Weihnachten mit Macht. So ganz ohne Glöckchen, Tannenbaum und Weihnachtskeksen.
Eine Enkelin kam zur Welt und bereicherte den schon bestehenden Reigen um ein weiteres Kind. Sie wurde wenige  Tage vor Weihnachten geboren, ganz gegen die Planung. Sie hätte früher kommen sollen. Doch was sind schon Pläne im Angesicht einer Geburt. Auch die berühmteste Geburt der Welt endete ungeplant in einem Stall.
Die Geburt ihres Enkelkindes hatte sicher nicht so weit reichende Folgen, wie die Geburt vor über 2000 Jahren in Betlehem. Doch die kleinen Enkelin öffnete die enge Schale ihres Alltags aus To Do`s, Planerfüllung, Pflichtbewusstsein und den nicht enden wollenden Überlegungen zum neuen Lebenskonzept und ließ, wie bei dem Wetterhäuschen aus ihrer Kinderzeit, eine andere Seite ans Licht treten.
Sie verschob Termine, sorgte für Lücken im Kalender, ließ die Lebensplanung, Lebensplanung sein und  sorgte für das Jetzt. Denn das Jetzt kam jetzt.
Weihnachten kam, als sich ihr Haus mit geliebten Menschen füllte und Kinder, Enkelkinder, Schwiegertöchter, Nichten, Großneffen und  Schwägerinnen eintrafen. Das Leben platzte aus allen Koffern und Taschen, deren Inhalt sich im ganzen Haus verteilte. Das Leben kroch in jede Ritze und verweilte. Der große Küchentisch mit seine vielen Stühlen ringsherum war das Herzstück des Lebens und pulsierte bis spät in die Nacht.
Dann, irgendwann zwischen Tierbabymemory, Mühlespielen, Kaffee kochen, Weihnachtsbraten und berührenden Gesprächen fiel sie für einen Moment heraus. Sie wurde zur Zuschauerin der Szene und sah all die Menschen, die seit Jahrzehnten oder auch erst seit sechs Tagen zu ihrem Leben gehörten und ihr Herz füllte sich mit warmen Glück.
Sie hatte nicht bemerkt, dass ihr Mann sie beobachtete. Doch dann spürte sie seinen Blick und wandte sich ihm zu. Als sich ihre Blicke trafen legte sich ein Lächeln in ihre Gesichter.

Admin - 08:58 @ Erlebtes und Geschautes | Kommentar hinzufügen


Über mich
Sozialpädagogin
Systemische Beraterin und Systemische Kinder-und Jugendtherapeutin

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